Smoke_on_the_Water

Smoke on the Water

17. Juli 2020

Wie ich es liebte, meine Füße in feuchtem, feinen Sand zu haben. Ein Gefühl von Geborgenheit, das sie umspült und einem alle Last zu nehmen scheint. Unwillkürlich kamen mir Erinnerungen an meine erste Berührung mit dem Meer in den Sinn. Doch womöglich hätte ich diese meine Gedanken besser für mich behalten, denn so ließ mich der dezente Hinweis meines Nebenmannes, daß es sich bei diesem feuchten, feinen Sand doch im eigentlichen um sich in der Trocknung befindlichen Zement handelte recht schnell wieder den Boden der Tatsachen begehen.
Mein Nebenmann war mein Partner und er wie ich hätten wohl besser auf unseren Chef, den Inspektor, den Chefinspektor, hören sollen. Er könne uns keinen Durchsuchungsbefehl ausstellen, nicht ohne vorher dies rechtfertigende handfeste Beweise zu haben, meinte dieser. Ihm wären die Hände gebunden. Und jetzt waren es die unseren.
Dabei waren wir doch nur bestrebt gewesen eben diese rechtfertigenden Beweise zu beschaffen, mit deren Besitz wir sowieso keinen Durchsuchungsbefehl mehr benötigt hätten, weil binnen Minuten die Kavallerie zur Stelle gewesen wäre.
Gefunden hatten wir sie, durchaus, doch waren die Indianer schneller. Im Grunde waren es auch keine wirklichen Indianer, sondern was die spanischen Konquistadoren in Südamerika von ihnen übrig gelassen hatten – kolumbianische Drogenhändler.
Die Lagerhalle in die sie uns gebracht hatten war vom Schein der Nacht erhellt und wie sich erkenntlich zeigte, wohl in einem für sie sicheren, abgelegenen Teil des Hafens gelegen. Da saßen wir nun, wie Stückgut abgefertigt und gut verzurrt im Warten darauf, daß unser Bewacher zurückkäme. Er wollte nur mal kurz Zigaretten holen.
Gerade als die Details dieser Örtlichkeit näher in meine untersuchende Aufmerksamkeit rücken wollten, wurden sie mit einer sich öffnen Tür beiseite geschoben, durch die Drogenbaron El-Sanchez, Delgado – seine Nummer zwei ­­– sowie ein paar muskulöse Männer traten, deren körpersprachliche Fähigkeiten sich zu artikulieren man mit einer gewissen Berechtigung sicher als schlagfertig bezeichnen konnte.
Philippe, so schien unser nikotinsüchtiger Bewacher zu heißen, dessen Fehlen den Neuankömmlingen unangenehm auffiel. Unhöflich von mir, daß ich ihn nicht selbst gefragt hatte, doch schien er seinerzeit sowieso nicht in Antwortlaune.
El-Sanchez schien ein wenig besorgt über Philippes mangelnde Anteilnahme und Gastfreundschaft uns beide hier einfach alleine zu lassen, so daß er einen seiner Primaten anwies ihn schleunigst herbeizuschaffen. Mein Partner hatte ihnen ja verraten wohin er aufgebrochen war. Er konnte dessen Bedürfnislage auch besser verstehen als ich, rauchte er doch selbst wie ein Fabrikschlot in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts.
Delgado prüfte den Zement der mir persönlich eine mittlerweile bedenkliche Festigkeit aufzuweisen schien. Sein Boss wollte wissen, ob wir von seinen Leuten gut behandelt worden wären und mein Partner meinte, wir würden uns nicht beschweren können, wir wären es ja schon.
Totenstille. El-Sanchez begann zu lachen, Delgado lachte, wir stimmten in das Lachen mit ein und die Männer fürs Grobe lachten. El-Sanchez hörte auf zu lachen. Totenstille...nein, nicht ganz, es war wohl eine Möwe, die in der Ferne zu hören war, aber wohl keiner der Anwesenden außer mir schenkte ihr die entsprechende Aufmerksamkeit.
Der Drogenboss kam zum Teil mit den Erklärungen, daß wir ihm das letzte mal ins Handwerk gepfuscht hätten, daß er bei der Umverteilung der Nahrungskette mit uns anfangen würde et cetera, et cetera, et cetera... Finger brechen? Nein, da hatte ich mich verhört, wir müssten für unsere Dinger blechen. Ob er eine schwere Kindheit gehabt hatte fragte ich ihn am Ende seiner Ausführungen und innerlich hatte ich schon mit einem Schuss ins Knie gerechnet aber anstelle dessen schickte er seine Begleiter weg. Es fand noch keine Erwähnung, daß sie den Raum bei ihrem ersten Erscheinen erleuchtet hatten, doch dies taten sie. El-Sanchez setzte sich unter eine der Lampen des Lagerhauses – die in einigen Metern Höhe recht gut von Insekten besucht waren – auf eine Kiste und begann zu weinen. Alsdann erzählte er in aller Kürze von seinem Leben, seiner schweren Kindheit und wie er in die Fußstapfen seinen Vaters trat und diesen beseitigen musste, als er gerade fünfundzwanzig Jahre alt war und daß er aufgrund dieses traumatischen Ereignisses sich selbst seinen inneren Kinderwunsch bisher versagt hatte. Mein Partner zeigte sich verständnisvoll und meinte tröstend, daß es für den Genpool nicht unbedingt schädlich sein müsse, wenn nicht alle Individuen dazu beitrügen. Ich selbst hätte – wäre ich dazu in der Lage gewesen – ihm ein Taschentuch gereicht und gab ihm dies auch zu verstehen. Er hatte jedoch selbst eines – ein edles Stofftaschentuch aus Indien – welches er auch benutzte. Eine Ratte kam zwischen zwei Kisten hervor, lief von ihm unbemerkt über seinen schwarzledernen rechten Schuh und entschwand zwischen den beiden nächsten.
Er schien sich wieder gefangen zu haben. Zumindest stand er auf, wischte sich noch mal die Tränen aus dem Gesicht, kramte eine Pistole unter seinem Anzug hervor, wohl um sich sicher sicherer zu fühlen, fuchtelte damit vor unseren Nasen herum und unterlegte seine Handlungen mit weiteren Hinweisen unsere unmittelbare Zukunft betreffend.
Alsdann rief er seine Handlanger wieder herbei unter denen sich nun auch der rauchende Philippe befand. Er winkte ihn mit den anderen zu sich, ließ ihn auf die Knie sinken, lud seine Waffe durch, entsicherte sie, drückte ihm den Lauf an die Stirn und hielt ihm eine Predigt darüber, daß Rauchen besonders tödlich enden könne, wenn man deswegen seinen Aufsichtspflichten nicht nachkäme. Im Angesicht der 9 mm Parabellum zeigte sich Philippe hierbei doch recht einsichtig.
Si vis pacem, para bellum. Was? Mist, schon wieder laut gedacht. Leider kam es El-Sanchez in den Sinn, daß er ja Frieden und Ruhe wollte und es eine gute Kriegsvorbereitung wäre die beiden Bullen die ihm so unangenehm auf die Pelle rückten – damit meinte er wohl mich und meinen Partner – endlich im Hafen zu versenken. Ruhe für ihn und Ruhe für uns.
Delgado versuchte sich als ausführendes Organ und ließ mich und meinen Partner auf eine Palette heben, diese mittels eines Gabelstaplers aus der Halle und zum Hafenbecken bringen.
Ob wir noch letzte Worte hätten, bevor wir nun unser nasses Grab finden würden, wurden wir von El-Sanchez aufgefordert diese zu äußern.
Mein Partner meinte nur er fände es ganz angenehm, nicht irgendwann an Lungenkrebs sterben zu müssen, wohingegen ich zugeben konnte, daß es wohl doch eine gute Idee war dieses mal auf ihn zu hören und unsere Auf-eigene-Faust-Handlung mit dem Chefinspektor abzusprechen.
Totenstille. Delgado und El-Sanchez machten große Augen. Das Hafengelände wurde von Flutlicht erhellt, ein Polizeiboot, Blaulicht überall dazwischen, kurzes Sirenengeheul und die megaphonverstärkte Stimme des Chefinspektors unterlegt mit dem ‚Geben sie auf, sie sind umstellt’ das er so gern in solchen Situationen von sich gab.
Die Änderung der Lage schien El-Sanchez ein wenig wütend zu machen, so daß er seinen Männern befahl sich zu verschanzen und selbst und eigenhändig den Gabelstapler bediente, um wenigstens uns von der Bildfläche verschwinden zu lassen. Und soweit gelang sein Vorhaben auch, kippten wir doch mit der Palette wie gewünscht ins Wasser und tauchten unter.
Von dem anschließenden Feuergefecht mit der Polizei bekamen wir sodann nichts mehr mit. Wir sanken tiefer und tiefer und tiefer und erreichten den Grund des Hafenbeckens.
Hätten die Taucher, welche uns vom Polizeiboot aus zu Hilfe eilten, nur ein bisschen länger gebraucht, mein Partner und ich wären wohl in die ewigen Jagdgründe von Räuber und Gendarm eingegangen, doch so wurden wir nur bewusstlos und erwachten später im Krankenhaus.
Der Chefinspektor besuchte uns und berichtete von dem Schusswechsel. Zwei Kollegen wurden verletzt und drei der Drogenhändler, Beweismaterial hätten sie auch zur Genüge sichergestellt. Diese Ratte El-Sanchez und sein Lakai Delgado würden für ein Weilchen sitzen. Der Chefinspektor verließ uns wieder.
Meinen Partner schien unser unfreiwilliger Unterwasserausflug ein wenig mehr mitgenommen zu haben als mich und als er schlief stand ich auf und erkundigte mich beim behandelnden Arzt nach dessen Meinung über seinen Zustand. Es stünde nicht sehr gut um ihn. Er erklärte mir, daß dies nicht nur die Folgen der jüngsten Ereignisse wären, mein Partner habe Lungenkrebs in einem fortgeschrittenen Stadium.